Veränderungen

Mein Leben war perfekt. Ich war ein erfolgreicher Traber, durfte aber trotzdem immer noch Pferd sein. Soll heißen, ich verbrachte viel Zeit auf der Weide, um dort neue Kraft zu tanken. Doch eines Tages änderte sich alles.
Mein Besitzer erlitt einen Schlaganfall und war von jetzt auf gleich außer Gefecht gesetzt. Die Ärzte machten ihm keine Hoffnung, dass er sich davon wieder erholen würde, und so musste er schweren Herzens all seine Pferde verkaufen. Tom hatte kein Interesse, den Hof weiterzuführen. Er hatte ein tolles Angebot aus dem Ausland bekommen, was er einfach nicht ablehnen konnte. Aber was sollte nun aus mir werden?
Ein Freund meines Herrn regelte alles, und schnell wurden meine Stallkollegen in Transportern weggebracht. Ich habe sie nie wieder gesehen. Ich wurde als letzte abgeholt und weigerte mich strikt, in den Hänger zu gehen. Irgendetwas sagte mir, dass sich mein bisheriges Leben nun von Grund auf ändern würde - und das wollte ich nicht. Aber irgendwann gab ich auf und ließ mich hineinschieben. Das lag auch daran, dass die Leute nicht gerade zimperlich mit mir umgingen. Als die Fahrt losging wieherte ich so laut ich konnte, aber es half nichts. Keiner kam, und so blieb mir nichts anderes übrig, als mich in Geduld zu üben. Vielleicht war ja alles gar nicht so schlimm, wie ich es mir vorstellte.
Nach gut zwei Stunden Fahrt ging die Hängerklappe wieder auf, und ich durfte raus. Sofort erblickte ich ein großes Gebäude. Ringsherum lagen ein paar Sandplätze, und es gab einen angrenzenden Wald. Aber wo waren die Wiesen? Ich konnte keine erkennen. Eine Frau mit Brille und strengem Blick nahm mich in Empfang und führte mich in das Gebäude. Ich fühlte mich nicht wohl in ihrer Nähe. Sie machte mir Angst.
Innen war eine große Halle, wo Kinder unter Aufsicht eines Erwachsenen am Reiten waren. In einem Seitengang befanden sich Ställe. Ich wurde in eine leere Box gestellt und dann allein gelassen.
Meine Unterbringung gefiel mir überhaupt nicht. Ich war einen hellen und großen Stall gewöhnt. Hier war es dunkel. Zwar hatte meine Box ein Fenster, aber viel Licht kam dadurch nicht herein. Es roch komisch. Die vier Boxen neben meiner waren leer. Sicher waren das die Unterkünfte der Pferde, die ich in der Halle gesehen hatte. Wenigsten gab es Artgenossen. Das war schon mal gut.
Der Stall war mit genug Stroh ausgelegt und frisches Heu war auch vorhanden, aber ich wusste sofort, dass nun alles anders wird. Ich drückte mich in die hinterste Ecke und ließ den Kopf hängen.
Irgendwann ging die Boxentür auf und zwei Kinder standen davor. „Schau mal, das ist die Neue“, hörte ich sie tuscheln. Eine streckte ihre Hand aus und hielt mir eine Möhre hin. Misstrauisch machte ich ein paar Schritte auf die Mädchen zu, schnappte nach der Rübe und zog mich wieder in meine Ecke zurück. Mir war nicht wohl bei der ganzen Sache, und ich wollte nur meine Ruhe haben. Konnte das keiner verstehen?
„Kinder, ich habe euch doch gesagt, ihr sollt sie in Frieden lassen“, vernahm ich plötzlich eine Stimme und schon erblickte ich die Dame, die mich herein geführt hatte. Sie schaute immer noch grimmig. „Lasst Sirikit erst einmal ankommen. Für sie ist das alles neu hier. Gönnt ihr Ruhe. Morgen lassen wir sie in der Halle laufen. Dann sehen wir, wie sie sich benimmt. Und dann gewöhnen wir sie ganz langsam an ihr neues Leben als Schulpferd“, sagte die Frau.
Schulpferd? Was ist das denn?, schoss es mir sofort durch den Kopf, und ich fühlte mich immer unwohler in meiner Haut. Gehorsam schlossen die Kinder wieder die Tür. Doch bevor sie den Stall verließen, lugten sie noch einmal durch die Gitterstäbe.
Nach etwa einer Stunde war es mit der Ruhe aus. Die Pferde aus der Halle kamen mitsamt ihren Reitern herein. Ein Stimmengewirr war zu vernehmen, und ich machte mich immer kleiner in meiner Ecke. Irgendwann ging meine Tür auf, die Frau von vorhin trat ein, schüttete Futter in meinen Trog und ging wieder. Und dann wurde es endlich ruhig im Stall. Vorsichtig ging ich zum Futter. So ganz traute ich der Sache nach wie vor nicht, aber so gemein konnten die Menschen hier doch nicht sein. Sie gaben mir etwas zum Fressen. Ich war ihnen also nicht egal. Nach dem ersten Bissen stellte ich mit großer Freude fest, dass es gar nicht schlecht schmeckte. Es war anders, als ich es kannte, aber gut. Ich vernahm von nebenan Schmatzen. Auf einmal schauten mich zwei Augen an. „Du bist also das neue Schulpferd?“, fragte der Braune.
„Sieht so aus. Was ist ein Schulpferd? Eigentlich bin ich ein Traber. Ich bin sogar schon Rennen gelaufen.“
„Ach so. Ein ausrangiertes Rennpferd also.“
„Was soll das denn bitte heißen?“
„Es kommt oft vor, dass Pferde, die für den Sport nicht mehr gebraucht werden oder wenn ihre Besitzer sie nicht mehr behalten können, aus welchen Gründen auch immer, dann als Schulpferde eingesetzt werden. Die Reitställe bekommen sie für wenig Geld. Aber so schlimm ist es hier nicht.“
„Und was ist ein Schulpferd?“
„Ganz einfach. Auf einem Schulpferd lernen Kinder das Reiten. Manchmal macht es Spaß. Manchmal nicht. Aber man gewöhnt sich daran. Die Frau, die sich hier um alles kümmert, heißt übrigens Frau Lemke und ist die Reitlehrerin. Bei ihr solltest du vorsichtig sein und sie nicht zu sehr reizen.“
Bei diesen Worten überschlugen sich meine Gedanken, und ich malte mir die schlimmsten Dinge aus. Irgendwann kam ich zu dem Entschluss, einfach den nächsten Tag abzuwarten.
© Britta Kummer